Letzte Woche habt ihr nichts von mir gehört, weil mein Körper sich noch ausruhen wollte und ich die Aufgabe hatte, ihm das zu ermöglichen.
Ich musste das die meiste Zeit meines Lebens auf die harte Weise lernen. Mittlerweile haben wir eine gute Beziehung, mein Körper und ich. Ich höre ihm zu wie einem Kind, das meinen Schutz und meine Zuwendung braucht. Nahrung, Bewegung, Schlaf, Spiel, Gemeinschaft und Berührung. Das klappt im Alltag mal besser, mal schlechter und das ist okay. Solange er weiß und ganz klar ist, dass ich für ihn da bin.
Wenn ich einen magischen Zauberstab hätte, würde ich allen Menschen die Fähigkeit geben, ihren Körper wie ein Kind zu betrachten, das unsere Zuwendung und unseren Schutz braucht. Die Fähigkeit zuzuhören wie einem Wesen, das nicht mit Worten spricht, uns aber immerzu mitteilt, was es braucht; was richtig ist, was wahr. Von ihm zu lernen. Manche Dinge verstehen wir, wenn wir hinhören. Für manche brauchen wir das Wissen anderer, moderner Medizin oder alten Wissenschaften wie Yoga.
Ich würde so weit gehen zu sagen: Wenn wir mehr Körper zuließen – wir würden in einer radikal inklusiven und freien Gesellschaft leben. Diese Gesellschaft hätte trotzdem Konflikte und Schmerzen, weil sie zum Leben dazugehören. Aber sie würde sich nicht zusätzlich damit belasten, den eigenen Körper (und die der anderen) zu bekämpfen.
Lange Einleitung, kurzer Sinn – Diese Woche geht’s um die Koshas, die Ebenen unseres Seins oder auch unsere fünf Körperhüllen.
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1.
Aus der modernen Medizin und Wissenschaft sind wir es gewohnt, den Körper in greifbare Teile zu zerlegen und auch so behandeln. Dieses Auseinandernehmen ist ein wichtiger Prozess, um zu lernen und zu verstehen und er ermöglicht uns heute unglaubliche Heilung. Es geht aber auch vieles verloren. Wenn wir alles nur auseinandernehmen und einzeln betrachten, entgeht uns das wichtigste und grundlegende aller Teile: ihre Verbindung.
Die indische Philosophie und Yoga betrachten den Körper und seine Verbindungen sowohl nach innen als auch nach außen. Ein Konzept, das vor allem im modernen Yoga immer wieder herangezogen wird (also nicht direkt aus Yoga-Texten stammt) ist die Lehre der Koshas, der fünf Hüllen unseres Seins.
Das klingt esoterisch und abstrakt? Wait for it.
Wir sind ein physischen Körper, auch Nahrungshülle genannt, weil er, plump gesagt, aus Nahrung entsteht: Wir essen, der Körper nimmt sich davon Teile und scheidet andere aus. Ohne Essen irgendwann kein Körper mehr. Mit diesem Körper, mit diesen Sinnen nehmen wir die Umwelt – das Außen – wahr.
Wir sind ein energetischer Körper oder eine Hülle der Lebensenergie. Sehr vereinfacht können wir diese Ebene zum Beispiel wahrnehmen, wenn jemand müde aussieht oder gestresst, traurig oder wir das Gefühl haben, jemand strahlt von innen Ruhe und Glück aus. “Ich hab heute keine Energie” – get it?
Wir sind ein mentaler Körper, die Hülle der Gedanken und Emotionen. Sie nimmt unsere Sinneseindrücke und gibt ihnen Bedeutung. Beispiel: Du liest (siehst = Sehorgan) die Nachricht einer Freundin: “Ich habe heute keine Zeit zu telefonieren”. Gedanken: “Ich bin ihr nicht wichtig”, “Ich bin ihr eine Last” oder “Sie hat gerade keine Zeit.” Gefühle: Trauer, Angst, Wut, Enttäuschung oder Akzeptanz, etc.
Darunter liegt unsere Hülle oder ein Körper der Intuition oder Intellekts: ein tiefes Wissen und Verstehen. Wir erleben diese Ebene beispielsweise, wenn wir einen Aha-Moment haben, der uns eine tiefere Verbindung aufzeigt.
Und schließlich sind wir die Hülle der Glückseligkeit, die die Erfahrung von tiefem Frieden und Freude verkörpert – und eng mit unserem wahren Selbst verknüpft ist.
Im Alltag nehmen wir vor allem drei dieser Hüllen wahr: die energetische, die mental-emotionale und die Nahrungshülle. Mein Kopf schmerzt, ich bin müde, alle nerven mich, was kann ich tun, um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden?
Alle diese Ebenen wirken sich aufeinander aus. Wenn wir beispielsweise müde sind, klingen häufig auch unsere Gedanken automatisch negativer. Wenn wir gut geschlafen haben, fühlt sich der Körper häufig besser an und auch unsere Gedanken und Gefühle klingen motivierter und positiver. Handeln wir entgegen unseres intuitiven Wissens (das uns vielleicht nicht mal bewusst ist), löst das im physischen Körper Anspannung aus, wir fühlen vielleicht Angst (je nach Schweregrad). Und je mehr alle diese Hüllen im Einklang sind: Körper, Gedanken, Gefühle, Energie, Wissen – desto ruhiger und besser fühlen wir uns.
Wichtig: Wir leben in stetiger Wechselwirkung mit Menschen, Umwelt und Gesellschaft. Wie wir Körper wahrnehmen und sie bewerten ist gesellschaftlich geprägt und steht in der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen von uns. Ebenso geht Yoga nach Innen und nach Außen. Dazu an anderer Stelle mehr.
Der erste Schritt ist auch hier – wie in jeder Wissenschaft – diese Ebenen getrennt wahrzunehmen. Um dann zu erkennen, wie sie einander beeinflussen; dass sie zusammengehören. Um schließlich zu lernen, was in welcher Situation hilft, um sie in Einklang zu bringen – und wie wir unsere Umwelt gestalten müssen, damit das jeder und jedem gelingen kann.
Das kann man üben und zwar im Alltag und in jedem Moment. Es fängt mit Aufmerksamkeit an. Schreiben hilft dabei ungemein, deswegen gibt es heute eine Schreibübung:
15 Minuten. Handy weg. Du, Stift,Papier. Schreib alles auf, was sich bewegt.
Setze dich nach draußen, nimm’ dir das für die nächste Bahnfahrt vor oder mach es genau jetzt, wo du gerade bist. Schreib alles auf, was du hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken kannst. Schreib’ Bewegungen auf, die du wahrnimmst. Beschreib auch die Bewegungen im Kopf, woran denkst du während du schreibst noch? Welche To-Do-Listen schreibst du, an welche Menschen denkst du? Und dann schreib auch auf, was du fühlst. Welche Emotionen kommen vielleicht auf, welche Erinnerungen? Schreib einfach alles auf, was sich bewegt: In deiner Umgebung, in deinem Körper, in deinen Gedanken.
2.
Ein Bekannter von mir ist Musiker. Er spielt Trompete, Klavier, Schlagzeug und wahrscheinlich noch sieben andere Instrumente. Er hat einen Uniabschluss in Klassischer Komposition, einen in Jazz-Musik und macht gerade seinen Doktor in elektronischer Musik. Musik ist sein Leben. Wäre da nicht sein Körper.
Der steht ihm häufig im Weg. Wenn er isst, schmerzen ihn der Magen, die Speiseröhre. Am Abend schmerzt ihm der Kopf. Nachts kann er schlecht einschlafen. Immer ist irgendwas. Dabei will er einfach nur Kunst machen, Musik spielen. Sein Körper ist ihm eine Last.
In einem vertrauten Moment habe ich mal seine Hand genommen. Wir saßen am Abend bei Klaviermusik in seinem Zimmer und sprachen über alles. Mit meinen Fingern bin ich die feinen Linien seiner Handfläche nachgefahren und gesagt: “Diese Hand ermöglicht dir, deine Musik zu spielen, deine Trompete.”
Er hätte diesen Satz ausrangieren können wie eine alte Jacke – zu oft gehört, zu oft getragen, zu pathetisch. Sei dankbar für das, was du hast. Aber das ändert nichts daran, dass die Jacke Löcher hat und versuch mal Schmerzen mit Dankbarkeit zu löschen. Hilft null. Weiß ich auch. Fair enough.
Mein Bekannter aber war erst still, dann sagte er: “Du hast so recht. Die meisten Menschen in meinem Umfeld blenden ihren Körper komplett aus. Selbst an der Uni.” Er wurde richtig wütend. “Ausgerechnet im Fach Musik!”, ein Fach, das uns die Rolle des Körpers doch wie kein anderes klarmachen sollte. Ohne Körper könnten wir sie weder spüren noch hören, noch spielen.
Ohne Körper könnten wir keine Erfahrungen machen und nicht davon erzählen: in Kunst, Geschichten, in Berührungen oder in diesem Newsletter.
Deswegen schreibe ich über Yoga. Es ist kein Zauberstab, aber ein Weg, den eigenen Körper, Gedanken und Gefühle als magische Instrumente zu betrachten, mit denen wir die Macht haben, etwas zu bewegen. In uns selbst und in anderen.
Das kann bedeuten, den eigenen physischen Körper genau so zu nehmen, wie er jetzt gerade ist. Ihn bedingungslos zu lieben wie ein Kind. Das beste für ihn zu wollen, damit wir damit tun können, was wir in dieser Welt tun wollen.
Ich zum Beispiel will diesen Newsletter schreiben. Damit mein Körper das mitmacht, muss ich jetzt aufstehen und ihn bewegen.
Und du? Was willst du?
Bis nächste Woche.
Deine Julia Anjuli
Liebe Anne, ich finde es wird einfacher, ja! Und irgendwie auch magisch. Der Körper weiß und sagt uns so viel – aber häufig wollen wir es gar nicht hören, weil es vielleicht unangenehm ist. Und weil es nicht ins gesellschaftlich strukturierte Leben passt – das muss man leider auch sagen. Häufig sagt mir mein Körper was und ich muss ihm antworten (wie einem Kind): Das geht jetzt leider gerade nicht anders. Aber auch das kann ich ja liebevoll machen und ihm (wie einem Kind) sagen: Wir machen das jetzt und später ruhen wir uns aus. Ist das nachvollziehbar?
Ich bin so froh, dass ich deinen Text entdeckt habe. Deine Zeilen treffen ins Schwarze & ich finde, auch wenn ich versuche auf meinen Körper zu hören: es ist echt schwer. Wird es einfacher?