Ich habe mal drei Wochen alleine in einer Hütte in Mecklenburg-Vorpommern verbracht, alle meine Messaging-Apps vom Handy gelöscht und mich bei Freund*innen und Familie abgemeldet. Es war eine konfuse Zeit, ich wollte rausfinden, was in mir vorging.
In dieser Zeit machte ich eine wichtige Beobachtung: Jeden Tag fühlte ich mich anders, meine Zustände drehten mehrmals täglich wie der Wind. Manchmal fühlte ich mich gedankenlos und still, dann euphorisch und voller Energie, gereizt oder traurig. Eindrücke, Erinnerungen und Ideen fuhren durch meinen Kopf wie Autos über eine indische Kreuzung. Je nach Tagesform fühlte ich mich der gleichen Situation gegenüber anders.
Das alles passierte von ganz alleine, ohne das Zutun anderer Menschen. Und es brachte mir eine wichtige Erkenntnis: Ich bin wie Wetter, ständig in Veränderung, mein Zustand ist immer in Bewegung.
Was ist wahr, wenn ich mich jeden Moment anders fühle? Was bleibt, wenn sich alles ständig bewegt?
Dranbleiben ist ein anderes Wort für Neugier
Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen im Geist. Die Stille, die wir unter den Gedanken finden. Im Yogasutra steht es so gleich zu Beginn. Die 195 Sutras, sowas wie eine Anleitung aus Aphorismen, analysieren, wie wir diese Ruhe finden und zu dem vordringen, was immer wahr ist. Zu dem, was bleibt und was wir sind. Um dorthin zu kommen, brauchen wir Abhyasa – das beständige Üben, die Wiederholung oder Beharrlichkeit.
Alles ist in Bewegung, also brauchen wir Beständigkeit. Wiederholung. Es wäre so einfach, wären wir nicht so schnell davon gelangweilt.
Ich lerne gern Neues, Dranbleiben lag mir weniger. Auch als ich die Grundhaltungen im Hathayoga von Grund auf gelernt hatte, fragte ich mich nach kurzer Zeit: Ich kann die Posen ja jetzt, sollte jetzt nicht was Neues kommen? Die gleichen Bewegungen, immer wieder – das ist doch langweilig, auch für meinen Körper!
Ich tat es trotzdem und je öfter ich die Haltungen wiederholte, desto klarer wurde mir, was ich schon in der Hütte beobachtet hatte: Nicht die Bewegungen ändern sich, sondern wie ich sie ausführe. Wie ich mich dabei fühle. Unter welchen Bedingungen ich sie übe – und wie sie in mir wirken.
Die Wiederholung wurde zu etwas, das bleibt, egal wie sehr sich alles andere verändert. Egal, wie ich mich verändere. Und sie wurde zu einer Tür in eine Welt, in der jede Wiederholung einzigartig ist, weil sich alles ständig verändert. Auch ich.
Dranbleiben ist seitdem nicht mehr schwer für mich. Ich brauche dafür nur Neugier und eine Frage: Wie wird es wohl diesmal?
Zwei Wahrheiten:
Alles ist immer in Bewegung, auch wenn wir gar nichts tun.
Alles wiederholt sich und kein Moment gleicht dem anderen.
Zwei Fragen
Womit haderst du mehr – mit Veränderung oder mit Wiederholung?
Was hast du in deinem Leben – bewusst oder unbewusst – wiederholt und wie hat sich dein Blick darauf, dein Gefühl dazu, verändert?
Nimm die Fragen als Reflektionsübung für diese Woche. Wenn du willst, erzählt mir davon, in dem du direkt auf diese Email antwortest. Schreib mir dazu, falls du gern anonym bleiben möchtest.
Eine Bewegungssequenz für jeden Tag
Dieser Morgenstretch deckt fast alle Bewegungsrichtungen deiner Wirbelsäule ab und dauert nur 1,5 Minuten. Es gibt also keinen Grund, ihn nicht jeden Morgen zu wiederholen!
Einatmen, Strecken
Ausatmen, nach Links beugen
Einatmen, Strecken
Ausatmen, nach Rechts beugen
Einatmen, Strecken
Ausatmen, Vorbeuge (Beine gebeugt, Bauch auf den Oberschenkeln ablegen – langsam, gerade am Morgen. Du kannst deine Beinrückseiten abwechselnd langsam strecken)
Einatmen, Rücken streckt parallel zum Boden, Finger auf die Schienbeine oder den Boden
Ausatmen, Vorbeuge
Einatmen, linkes Bein streckt, rechter Ellbogen auf dem Oberschenkel oder Hand auf dem Boden, linker Arm streckt zur Decke (Twist aus der Brustwirbelsäule heraus)
Ausatmen, Vorbeuge
Einatmen, rechtes Bein streckt, linker Ellbogen auf dem Oberschenkel, oder Hand auf dem Boden, linker Arm streckt zur Decke (Twist aus der Brustwirbelsäule heraus)
Wenn du willst, nimm diesen kurzen Sonnengruß dazu:
Wir lesen uns nächste Woche,
deine Julia Anjuli