Was machst du als erstes, wenn du nach einem langen Tag zur Tür rein kommst: Schaltest du den Fernseher, Netflix oder einen Podcast an? Denkst du an Bier oder Wein? Willst Süßes, Fettiges, legst dich aufs Sofa und scrollst durch Social Media?
Bist erschöpft, aber unruhig?
Und schläfst später schlecht ein?
Dann ist dein Körper, wie meiner manchmal, in einer Art Dopaminrausch. Er jagt nach neuen Reizen, um sich zu belohnen – und hält das irrtümlich für Entspannung.
Mach stattdessen das hier:
Das ist Viparīta-Karaṇī – wörtlich übersetzt sowas wie die Umkehrhaltung.
Echte Entspannung ist Tiefenentspannung. In diesem Zustand
steigt die Aktivität der Alphawellen in unserem Gehirn an. Das sind Hirnstromwellen, die besonders langsam schwingen.
Wir fühlen uns ruhig, aber wach.
Unser Nervensystem setzt Hormone wie Serotonin und Oxytocin frei, die Vertrauen, Bindung und Wohlbefinden steigern.
Die Verdauung wird angeregt, Eindrücke und Emotionen werden verarbeitet.
Wir können unsere Umwelt besser verarbeiten, unsere eigenen Emotionen besser regulieren und klarer denken.
Die schlechte Nachricht zuerst: Auch Entspannung braucht Einsatz.
Wir aktivieren dabei den Parasymphatikus. Das ist der Teil unseres autonomen Nervensystems, der für Ruhe und Verdauung zuständig ist. Der Gegenspieler des Parasympathikus ist der Sympathikus. Er sorgt für Konzentration und Wachheit, beispielsweise über das Hormon Noradrenalin. Die beiden stehen in ständiger Wechselwirkung und halten sich im besten Fall in Balance – als autonomes Nervensystem machen sie das autonom, also von allein.
Überreizung, Dauerstress und Angst können das Gleichgewicht allerdings durcheinander bringen. Die Folge sind Unruhe und gleichzeitige Erschöpfung. Wir können den Parasympathikus aber bewusst aktivieren. Zum Beispiel durch:
Wechselduschen
langsame und sanfte Zwerchfellatmung (schau dir dieses Video an)
summen oder sanft singen
Bewegung, zum Beispiel Yoga-Asana
All diese Aktivitäten trainieren oder stimulieren den Vagusnerv. Er entspringt im Hirnstamm und verläuft über unseren Hals, die Lunge und das Herz bis hinunter zu den Organen im Bauchraum. Er wird auch Ruhenerv genannt und setzt Regenerationsprozesse in Gang.
Die gute Nachricht ist: Wir können das üben.
Je häufiger wir unseren Vagusnerv und das Ruhezentrum aktivieren, desto besser gelingt es uns.
In Yoga ist die Aktivität des Loslassens – der Lösung von Spannung – zentral. Die körperliche Ebene ist dabei nur der Anfang. Der Weg führt bis hinein ins wahre Selbst, aber dazu an anderer Stelle mehr. Wichtig ist:
Entspannung ist auch eine Haltung, die wir aktiv einnehmen.
Quick Reset: Leg’ die Beine hoch.
Den Schulterstand hast du sicher schonmal gesehen. Viparīta-Karaṇī wird als Vorbereitung dazu geübt - mit den Händen an der Lendenwirbelsäule oder auf Brücken. In alten yogischen Vorstellungen hatte diese Übung eine verjüngende Funktion, aber let’s not go there now.
In dem Video oben habe ich eine regenerative Form der Haltung eingenommen, indem ich die Beine passiv an die Wand lege.
Die regenerative Variante von Viparīta-Karaṇī ist für mich eine besonders effektive Form eines Quick Resets. Die hochgelegten Beine fördern den venösen Rückfluss und die Durchblutung. Der Herzschlag verlangsamt, der Rücken wird entlastet – bei Rückenschmerzen ist das besonders wohltuend. (Während eines akuten Bandscheibenvorfalls in der Lendenwirbelsäule habe ich die einfache Stufenlage bevorzugt). Indem du deine Augen schließt, fährst du die Reizaufnahme herunter.
Probier das diese Woche täglich: Am Ende deines Tages oder vor dem Schlafengehen leg’ für zehn Minuten die Beine hoch.
Stell’ dir eine Uhr.
Deine Handflächen zeigen nach oben und die Arme locker neben deinem Körper.
Schließ’ die Augen.
Atme sanft und langsam durch die Nase und in den Bereich direkt unter deinem Rippenbogen (Zwerchfell). Du kannst eine Hand auf die Stelle legen.
Komm’ imit deiner Aufmerksamkeit mmer wieder zur Bewegung dieser Hand oder deines Atems.
Beobachte, was passiert.
Diese zehn Minuten reichen bei mir häufig, um meine akuten Bedürfnisse neu auszurichten. Ich werde langsam, mein Körper will frisch essen, lesen oder schreiben statt Fernsehen gucken. Habe ich noch zu tun, kann ich mich der Aufgabe und anderen Menschen mit mehr Geduld widmen. Schalte ich den Fernseher ein, fällt es mir leichter, dabei nicht auch noch auf dem Handy rumzutippen.
Dabei habe ich gar nichts gemacht. Aber das mit Haltung. Probierst du das auch?
Bis nächste Woche,
deine Julia Anjuli